Donnerstag, 13. Oktober 2016

Literatur-Nobelpreis und Empfehlungen aus der Spätlese

Hey Nobelpreiskomitee, wie entspannt ist denn das? In diesem Jahr gibt's kein "WER hat den Preis gekriegt? Wie heisst der? Welches Land? Gibts da überhaupt was auf Deutsch? Und wann ist das wieder lieferbar?" Nein, dieses Jahr lehne ich mich total entspannt zurück, trinke eins auf Bobby Dylan und freue mich auf nächstes Jahr... da bekommt den Literatur-Nobelpreis dann vermutlich das Bundesfinanzministerium für seine unterhaltsamen Broschüren.

 
Also, jetzt lasst uns über Literatur reden: Am Dienstag war wieder Spätlese, und ich musste mich wirklich beherrschen - so viele tolle Bücher und so wenig Zeit. Und bald ist ja auch wieder Weihnachten... Die Spätlese findet dieses Jahr noch mal am 08. November statt und am 13. Dezember gibt es dann das Weihnachts-Special mit lauter Geschenktipps für Ehemänner und Schwiegertöchter und Nachbarinnen und ...

Am Dienstag hatte ich diese Schätzchen für euch ausgesucht:


Laura Tait/ Jimmy Rice: Alles, was vielleicht für immer ist, Dumont

Von diesen beiden hat mir schon "Das Beste, das mir nie passiert ist" so gut gefallen, weil sie genüßlich mit der weiblichen und der männlichen Perspektive spielen. Hier geht es noch einen Schritt weiter: Rebecca vereint auf sich typisch "männliche" Klischees wie Zielstrebigkeit und Sachlichkeit und Ben ist das Mädchen in der Beziehung mit den "weiblichen" Eigenschaften wie hoher Emotionalität und Neugier auf andere. Das treibt unser Autorenduo mitunter ganz schön auf die Spitze, aber ich hab mich bei diesem lustigen kleinen Roman immer bestens unterhalten gefühlt.


 
Chiara Gamberale: Das 10-Minuten-Projekt, Berlin Verlag

Zuerst habe ich gedacht, öhch schon wieder so ein Selbsthilfe-Roman, aber dieses Buch ist so witzig und unsentimental und erfrischend geschrieben, dass ich es euch ganz arg ans Herz legen möchte. Chiara ist deprimiert, weil ihr Mann sie verlassen hat, und soll nun auf Geheiß ihrer Therapeutin jeden Tag 10 Minuten lang etwas ganz Neues ausprobieren, um auf andere Gedanken zu kommen. Sie beginnt eher missmutig mit knallpinkem Nagellack, arbeitet sich über HipHop-Tanzen und Impro-Theater vor bis zum Windelwechseln und schließlich den größeren Themen - einem Besuch bei IKEA. 
Nee Quatsch, so seicht ist es nicht! Besonders bewegend fand ich das Kapitel, in dem sie zum ersten Mal ihre Mutter fragt, wie es ihr denn wirklich geht, und so lange hartnäckig bleibt bis die beiden ein wirklich schönes Gespräch führen. In ihren Selbstheilungsprozess funkt ihr blöder Exmann immer wieder dazwischen, aber Chiara bleibt tapfer und lernt nach und nach, ihr Leben wieder zu schätzen. 
Außerdem hat das Buch das allerschönste weihnachtliche Ende aller Zeiten und ist daher das perfekte Geschenk für unter den Baum!

(Und, wer hats gemerkt, dieses Buch hatte ich schon im Oktober letztes Jahr als Neuerscheinung empfohlen. Jetzt ist es gerade als Taschenbuch erschienen)


Joyce Maynard: Die Guten

Ich vermisse Barbara Vine ja schmerzlich, ihre Bücher sind einfach etwas Besonderes. Umso schöner, dass mich dieses Buch sehr an ihren Stil, ihre klug konzipierten Handlungen und sorgfältigen Charakterzeichnungen erinnert. Die Geschichte ist wirklich faszinierend: Als Helen an einem ziemlichen Tiefpunkt ihres Lebens angekommen ist, lernt sie die charismatischen Havillands kennen. Ava und Swift haben alles, was Helen nicht hat, und sie bindet sich immer enger an diese Familie, auch auf Kosten von echten Freundschaften. Mit Hilfe des glamurösen Lebensstils der beiden schafft sie es sogar, wieder eine Beziehung zu ihrem kleinen Sohn Ollie aufzubauen. Und dann wird es dramatisch... Da ist so wahnsinnig durchdacht und raffiniert aufgebaut, ich habe völlig fasziniert gelesen und gelesen und konnte überhaupt nicht aufhören.
 

Anita Terpstra: Anders, blanvalet
Ja, das hatte ich schon aus meiner Ferienlektüre empfohlen.


Brigitte Glaser: Bühlerhöhe, List Verlag
Und nun mein Highlight: Das ist soooo ein wunderbares Buch!! Es wird 1952 aus der Sicht dreier Frauen erzählt - einer jungen Israelin, die widerwillig zur Agentin wird, eines Zimmermädchens aus dem Schwarzwald und einer undurchsichtigen Hausdame im Luxushotel Bühlerhöhe - und ich bin tief in die unmittelbare Nachkriegsgeschichte eingetaucht. 
Es gibt ja nicht so viele Bücher, die zu Beginn der 50er spielen, und ich fand den Kontrast zwischen den Nachwirkungen des Krieges und dem Lebenswillen der Wirtschaftswunderzeit sehr interessant. Auch die deutsch-israelische Geschichte und Politik dieser Zeit wird thematisiert und so gekonnt in die Romanhandlung eingearbeitet, dass ich die Zusammenhänge sehr gut verstehen konnte. Dazu schafft die Autorin ein farbiges und lebendiges Zeitbild - und eine überaus spannende Handlung um ein geplantes Attentat auf Kanzler Adenauer, der in der Bühlerhöhe zur Sommerfrische erwartet wird. 

Dieses Buch werde ich zu Weihnachten wie verrückt empfehlen, so eine perfekte Mischung aus Zeitgeschichte, Spannung und Romanhandlung habe ich lange nicht mehr gefunden.




 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen